Amor Fati: Die Liebe zum Schicksal und zum Leben selbst

Es gibt Sätze, die sich wie ein unaufdringlicher Schatten in das eigene Leben schleichen und mit der Zeit so selbstverständlich werden wie das Atmen. Einer dieser Sätze stammt von Friedrich Nietzsche: Amor fati – die Liebe zum Schicksal. Für jemanden wie mich, der mit chronischen Erkrankung der Spinalen Muskelatrophie (SMA) lebt, klingt das zunächst wie eine Zumutung. Schicksal lieben? Ernsthaft? Die Distanz mit spitzem Schabernack, mit der ich solchen Sprüchen sonst begegne, musste bei diesem Prinzip jedoch weichen.

Aber was meint Nietzsche eigentlich mit Amor fati? Es ist nicht nur das passive Akzeptieren des Lebens, nicht das schulterzuckende, typisch Deutsche “Tja”. Es ist mehr. Es ist ein radikales Ja, ein Ja zu allem, was das Leben mit sich bringt – zu den luftigen Höhen, aber eben auch zu den tiefen Tälern. Es ist der Versuch, das Schwere nicht nur zu ertragen, sondern es als Teil von etwas Größerem zu umarmen.

Das Leben hat kein Warum

Wenn man mit einer chronischen Krankheit wie der SMA lebt, ist die Versuchung vielleicht groß, sich immer wieder zu fragen: Warum ich? Warum so?

Mich selbst haben solche Fragen allerdings noch nie beschäftigt. Wieso, weshalb, warum ich meine Behinderung habe. Anstatt mich irgendeinem meines Erachtens sinnlosen Gram zu unterwerfen, fand ich Wege, mir mein Glück doch immer wieder zu schmieden.

Die Warum-Frage ist eine Sackgasse. Sie führt mich nirgendwohin, außer in einen Strudel aus Frustration und Bitterkeit. Und dies ist eine der Lehren des Prinzips Amor fati.

Stattdessen beschäftigen mich die folgenden Fragen, alltäglich wie ganzheitlich in meinem Leben: Und jetzt? Was mache ich aus diesem Moment – in all seiner Schönheit und seiner Groteske? Das klingt vielleicht banal, aber diese seit jeher bei mir bestehende Perspektive macht für mich den Unterschied zwischen bloßem Überleben und einem echten Leben.

Jede Person ist im Prinzip ihr eigener Roman

Amor fati ist keine naive Lebensfreude, die Schwierigkeiten ignoriert. Es geht nicht darum, SMA schönzureden oder die Herausforderungen kleinzureden, die sie mit sich bringt.

Es geht vielmehr darum, das Leben als Ganzes zu sehen. Es ist ein bisschen so, wie in einem Roman: Jede Szene, jede Figur hat ihren Platz. Auch die tragischen Elemente geben der Geschichte Tiefe und Bedeutung.

Mein Leben ist nicht perfekt – doch wessen Leben ist das schon? Ich habe gelernt, das Unvollkommene nicht nur zu akzeptieren, sondern es zu umarmen und einfach zu erleben.

Mein Lebenspartner, meine persönliche Assistenz, meine eingeschränkte Bewegungsfähigkeit, meine Schluckbeschwerden – das alles und noch viel mehr ist Teil meiner Geschichte. Ohne diese Kapitel wäre mein Leben ein anderes. Und wer weiß, ob es dann wirklich besser wäre?

Die tägliche Entscheidung

Amor fati ist für mich keine einmalige Erkenntnis, die alles verändert. Es ist eine Entscheidung, die ich jeden Tag aufs Neue treffe. Es gibt Tage, da fällt sie mir leicht. An anderen muss ich erst einmal prüfen, bevor ich sie bejahe.

Aber genau darin liegt für mich die Stärke dieses Prinzips: Es verlangt nicht, dass wir immer stark sind, nur dass wir bereit sind, das Leben mit offenen Armen und offenem Kopf zu empfangen – selbst dann, wenn es sich gerade wie eine Kopfnuss anfühlt.

Ich bin nicht Nietzsche, und ich werde es wohl auch nie sein. Aber in meinem Alltag mit SMA habe ich gelernt, dass Amor fati nicht bedeutet, zu resignieren. Es bedeutet, das Leben zu feiern – nicht trotz, sondern wegen seiner Widersprüche. Denn vielleicht liegt genau darin die wahre Freiheit: in der Fähigkeit, Ja zu sagen, selbst wenn das Leben uns einen Grund zum Nein gibt.

Die Liebe zum Leben – ein radikales Ja für mich

Amor fati ist für mich mehr als ein philosophisches Konzept. Es ist eine Haltung, eine Art, das Leben zu betrachten. Es bedeutet nicht, die Schwierigkeiten zu ignorieren, sondern sie anzuerkennen und darin eine Form von Lebensliebe zu finden.

Vielleicht magst auch du etwas daraus mitnehmen. Welches Schicksal auch immer dich begleitet, welche Herausforderungen dir im Weg stehen – es lohnt sich, ihnen mit einem klaren, mutigen Ja zu begegnen. Das Leben, mit all seinen Brüchen und Narben, ist schließlich immer noch das einzige, das wir haben. Und vielleicht, nur vielleicht, ist genau das schon Grund genug, es zu lieben.

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