Spinale Muskelatrophie ist nicht heilbar. So kurz und knapp ist die Wahrheit. In diesem Beitrag erfahrt ihr, wieso ich lieber den Ist-Zustand akzeptiere und mein Leben genieße, anstatt auf eine Heilung zu hoffen.
Von Irren im Umfeld
Schon in meiner Kindheit führte mich meine Erkrankung an spinaler Muskelatrophie in nicht unbedingt angenehme Situationen. Meine Mutter musste zum Beispiel aktiv meine Verwandtschaft väterlicherseits davon abhalten, irgendwelchen rumänischen Voodoo an mir durchzuführen.
Einmal waren sich Großmutter und Urgroßmutter einig, dass ich doch nur ein bisschen Hilfestellung bräuchte, um Laufen zu können. Das Resultat? Verstauchte Fußknöchel.
Vielleicht war ich als Fast-Dreijähriger auch ein bisschen redefaul, als man aber ernsthaft darüber nachdachte, mir das Sprechen durch eine Gaumenspaltung zu ermöglichen, plapperte ich ohne Ende – zum Leidwesen meiner Mitmenschen.
Solche und ähnliche Geschichten könnte ich zuhauf erzählen. Meine Eltern glauben bis heute noch, dass meine Behinderung aufgrund einer Impfnebenwirkung vorliegt, jeglicher Versuch sie mit Wissenschaft und Fakten von dieser Ansicht abzubringen, sind fehlgeschlagen.
Von Anfang an nicht normal – und das ist okay.
Auch sonst durfte ich mir als Kind schon zahlreiche Therapien und Untersuchungen über mich ergehen lassen. Krankengymnastik, Hilfsmittel, Untersuchungen für Operationen – alles zum Zwecke, mich normaler machen zu wollen. Rückblickend hat das für mich immer den Beigeschmack einer Origin-Story für einen Antihelden.
Normal war ich aber nie. Für mich war das von Anfang an ziemlich okay, meine Form der Normalität, könnte man schon fast sagen. Für andere allerdings nicht.
Entscheidungsfreiheit, mein größtes Geschenk
Als Kind kann man sich natürlich nicht gut wehren, beim Heranwachsen hatte meine Mutter mir später jedoch immer wieder die Möglichkeit offen gelassen, sodass ich selbst entscheiden konnte, was ich wollte und was nicht. Mit der Zeit musste sie wohl selbst festgestellt haben, dass hinter vielen Behandlungsansätzen nicht mein Wohlergehen steckte.
Je älter ich wurde, desto mehr wusste ich meine Entscheidungsfreiheit zu schätzen lernen. Wird man ständig angeleitet und bemuttert, lernt man nicht, im Leben für sich auch Entscheidungen zu treffen.
Sicherlich hätte ich in meinem Lebenslauf gefördert werden können mit ein bisschen mehr Einsatz von meiner Mutter und Erfahrenen in meinem Umfeld, aber einerseits wäre ich nicht der, der ich heute bin, und andererseits weiß ich nicht, ob das in meinem Sinne gewesen wäre.
Gute Sachen und schlechte Sachen
Bis zu einer gewissen Zeit schienen mir manche Dinge sinnvoll. So etwa die Physiotherapie. Durch diese in Kindheit und Jugend konnte ich einiges an Biegsamkeit an meinem Körper bewahren. Ebenso lernte ich, ein inniges Körpergefühl zu entwickeln. Bis heute kann ich etwa sehr schnell beurteilen, wie lange ich in einer Position ausharren kann, bis mir meine Haut oder meine Knochen wehtun.
Ein Negativbeispiel war hingegen eine geplante Versteifung meiner Wirbelsäule, die am Ende nur aufgrund meiner geringen Lungenfunktion nicht stattfand. Sicherlich, ich hätte heute keinen Buckel wie der Glöckner von Notre Dame und würde nochmal ein bisschen normaler aussehen, aber auch Nebenwirkungen bei solchen Operationen sind mir bekannt, wie ein vorsichtigerer Umgang oder auch eine geringere Beweglichkeit als vorher. Von Jahr zu Jahr bin ich erfreuter, dass dieser Eingriff nicht funktioniert hat.
Die Sensation(?)
2016 gab es erste Meldungen über ein Medikament, dass SMA heilen könnte. Infolgedessen waren meine Ohren spitz wie bei einem Schäferhund. Auch wenn viele Meldungen hierzu Boulevard-Niveau besaßen, sind gerade solche Meldungen in soziopsychologischen Kontext evolutionär im menschlichen Gehirn in der Schublade mit der Aufschrift „interessant“ versehen.
Da ich nicht zur besonders geselligen Sorte gehöre, habe ich lieber erst mal ein wenig ausgeharrt und nicht Versuchskaninchen mit mir spielen lassen, zumal mir die Verabreichungsform zuwider war. Ich kann mir definitiv Schöneres vorstellen als mir jedes Quartal über eine Stunde hinweg ein metallenes Essstäbchen in die Wirbelsäule rammen zu lassen.
Mittlerweile gibt es auch ähnliche Medikationen zur regelmäßigen Einnahme – ein bisschen wie Hustensaft. Ebenfalls sind derzeit weitere Therapieansätze in der Mache. Eines haben sie bisher allesamt bewiesen: Sie stecken noch in den Kinderschuhen.
Bei Mäusen gibt es wohl evidente Hinweise, dass die Medikamente wirken, bei Kindern kann bei regelmäßiger Gabe der Verlauf der SMA gerade in den infantilen Stufen abgemildert werden. Aber bei Erwachsenen? Im mittlerweile häufigen Austausch laut Betroffenen nicht mehr als der kurze Anflug kleinster Verbesserung, der dann kurz darauf bis zur nächsten Gabe weg ist, oder aber es findet gänzlich keine Wirkung statt.
Ein Lied von Angst und Hoffnung
Es mag ein bisschen böse klingen, aber die mit den Medikamenten involvierten Pharmakonzerne spielen hier mit der Angst vor Verschlechterung bei den Patienten mit SMA. Häufig höre ich von diesen, dass man die Medikamente nur einnimmt aus ebendieser Angst vor Verschlechterung. Die vermeintliche Stabilität wird dann als Therapieerfolg gewertet.
Mir sind ebenso SMA-Patienten bekannt, die über 50 Jahre alt sind und seit dem Erwachsenenalter wenig bis keine Verschlechterungen hatten, auch ohne Medikamenteneinnahme. Ich bin jetzt selbst auch schon über 30 Jahre alt und hatte in den letzten zehn Jahren keine große Verschlechterung meiner Verfassung mehr gehabt.
Ferner ist der Vergleich zwischen Muskelatrophie und Muskeldystrophie tunlichst zu vermeiden. Während bei letzterer die Degeneration im Vergleich sehr rapide verläuft, ist die Verschlechterung bei der SMA sehr unterschiedlich ausgeprägt, nach einem heftigen Start aber häufig sehr graduell. Entsprechend ist es meines Erachtens ein wenig unüberlegt, die Stabilität der Behinderung im Verlauf von nur wenigen Jahren den noch wenig erforschten Medikamenten zuzuschreiben.
Noch mehr an den Kopf fassen würde ich mich – wenn ich denn ohne Hilfe könnte -, über den Umstand, dass man für die Illusion von ein bisschen Hoffnung verheerende Nebenwirkungen in Kauf nimmt, die häufiger denn selten sind.
Darunter fällt etwa die erhöhte Anfälligkeit zu Atemwegsinfekten, wo die Lungenfunktion von Menschen mit SMA sowieso schon gut eingeschränkt ist. Auch sollte man bei der Medikation lieber keinen Kinderwunsch haben, denn die Fruchtbarkeit wird ebenfalls eingeschränkt. Umkehrbar? Vielleicht? Ein Schelm, der mit einem Augenzwinkern nicht den Gedanken von Euthanasie im Kopf aufflackern sieht.
Hoffnung? Lieber Akzeptanz
Ich mache mir keine Hoffnungen auf eine Heilung meiner SMA – nicht, so lange nicht nachweislich eine signifikante Besserung meines Zustands mehr oder minder garantiert werden kann.
Bei Kindern und Jugendlichen mögen diese Therapieansätze ihre Wirkung zeigen, wenngleich es noch keine langfristigen Prognosen gibt, die den Preis für diese Wirkung beziffern, doch beim Einsatz für Erwachsene geht bei mir beim besten Willen das Preisleistungsverhältnis nicht auf. Für ein bisschen Vorgeschmack setze ich nicht meine Fruchtbarkeit und schon gar nicht die Funktion meiner schwächsten Organe aufs Spiel.
Was mache ich stattdessen? Den Ist-Zustand akzeptieren und mein Leben genießen. Anstatt mich in die verführerische Umarmung von Padre Pharma zu begeben, versuche ich einfach die Faktoren, die ich beeinflussen kann, zu beeinflussen: meine körperliche Unversehrtheit, meine Beweglichkeit, meine Ernährung – alles auf meine Weise unter meinen Bedingungen, schließlich bin ich ein mündiger Bürger, der am besten weiß, was für ihn selbst gut ist – und was nicht.
Und dennoch, eine kleine, banale Hoffnung habe ich. Ich würde es richtig cool finden, meinen Geist in einen anderen Körper zu übertragen, meinetwegen auch in einen mechanischen Körper. So sehr ich mich und meinen Körper auch liebe, so würde ich schon gerne mal die Welt abseits meiner Perspektive erleben wollen. Vielleicht ist die Mensch-Maschine kein entfernter Traum mehr.
Wie geht ihr mit Dingen um, die ihr nicht ändern könnt? Glaubt ihr fest eine Wunderlösung oder findet ihr euch damit ab und macht das Beste daraus? Vielleicht sogar etwas dazwischen?