Dieser Artikel wurde zuletzt am 03.12.2024 aktualisiert.
Die Diagnose einer seltenen Krankheit wie Spinale Muskelatrophie (SMA) ist keine Reise, die man mal eben so plant. Sie kommt eher wie ein Sturm, den niemand hat kommen sehen – plötzlich und unwiderruflich.
In meinem Fall begann diese Reise in meiner frühen Kindheit. Doch damals hatten meine Eltern und ich sowieso keine Ahnung davon, was uns erwarten würde. Vielleicht ist es gerade diese Unsicherheit, die so viele Betroffene und ihre Familien durchmachen: das Gefühl, durch einen Nebel zu tasten, ohne zu wissen, was am anderen Ende wartet.
Ich erinnere mich daran, wie meine Eltern nach Arztterminen stets betrübt waren, im Zweifel ob einer erfüllten Zukunft für mich. Es war eine Mischung aus Hoffnung und Frustration, die in der Luft lag. Doch für mich war das alles einfach Teil meines Alltags – ich dachte nicht viel darüber nach, sondern nahm es so hin, wie es kam.
Die ersten Hinweise und der darauffolgende Diagnostik-Marathon

Rückblickend gab es natürlich Anzeichen. Ich konnte zwar mit sechs Monaten noch sitzen, doch von einem Tag auf den nächsten ging das nicht mehr. Meine Eltern suchten Rat bei Ärzten – und schnell begann dann der Weg in die Diagnostik.
Der Weg zur Diagnose war lang – und ich meine wirklich lang, etwa ein halbes Jahr. Es gab Besuche bei Kinderärzten, Neurologen und Universitätskliniken. Eine Untersuchungsmethode war die Elektromyographie (EMG). Falls ihr das nicht kennt: Dabei werden winzige elektrische Impulse durch die Muskeln geschickt, um ihre Reaktion zu messen.
Klingt unangenehm? War es auch, vielleicht. Erinnern kann ich mich an die ganzen frühkindlichen Untersuchungen nicht mehr. Lediglich schriftliche Testergebnisse von damals geben konkret Aufschluss darüber, was mit mir alles gemacht wurde.
Ein genetischer Test brachte schließlich Klarheit. SMA Typ 2, hieß es. Meine Eltern? Geschockt. Ich? Zu jung, um die Bedeutung dieser Worte wirklich zu begreifen. Für mich war meine Behinderung schon immer gelebte Realität.
Heute: Fortschritte in der Diagnostik

Was damals fehlte, war vor allem eines: Information. Meine Eltern wussten nicht, an welche Stellen sie sich wenden konnten, um mehr über SMA zu erfahren. Eine Broschüre mit klaren, laienverständlichen Erklärungen zur Krankheit oder ein Leitfaden über die nächsten Schritte nach einer Diagnose hätten uns sehr geholfen.
Auch Hinweise auf Selbsthilfegruppen oder spezialisierte medizinische Einrichtungen wären Gold wert gewesen. Es war, als würden wir durch ein Labyrinth ohne Karte irren – jede Information, die uns Orientierung gegeben hätte, hätte die Reise erheblich erleichtert. Meine Eltern hatten das Gefühl, durch einen dunklen Raum zu tappen, in dem es weder Licht noch klare Hinweise darauf gab, wohin wir gehen sollten.
Heute gibt es zum Glück deutlich mehr Wissen und sogar ein flächendeckendes Neugeborenen-Screening für SMA in vielen Ländern – auch in Deutschland. Das Screening ermöglicht es, SMA früher zu erkennen und rechtzeitig Therapien einzuleiten. Dadurch können Eltern und Ärzte früher handeln, was dazu beiträgt, die Muskelmasse und Bewegungsfähigkeit der Kinder möglichst lange zu erhalten.
Außerdem haben sich die Therapien in den letzten Jahren revolutioniert: Medikamentöse Behandlungen wie Gentherapien oder spezifische Medikamente geben Hoffnung, wo früher keine war. Die Medizin hat erstaunliche Fortschritte gemacht – von einer Zeit, in der die Diagnose SMA einem Urteil ähnelte, bis zu heute, wo sie der Anfang eines umfassenden Behandlungsplans sein kann, um ein möglichst normales Leben führen zu können.
Dennoch bleibt eines unverändert: Es ist entscheidend, sich ständig zu informieren, auf dem neuesten Stand zu bleiben und die richtigen Fragen zu stellen. Wissen ist Macht – und in diesem Fall vor allem auch Lebensqualität.
Emotionale Achterbahn

Ich möchte ehrlich sein: Eine Diagnose wie SMA zu bekommen, bedeutet nicht nur physische, sondern auch emotionale Hürden. Meine Eltern mussten nicht nur mit der Diagnose an sich, sondern auch mit Schuldgefühlen und Sorgen umgehen. Hätten sie etwas anders machen können? (Die Antwort: Nein.)
Auch ihre Akzeptanz hält sich bis heute in Grenzen. Bei beiden hat sich die Ansicht verfestigt, dass meine Behinderung aus einem Impfschaden resultierte. Hierfür gab es nie eine Grundlage aus der Wissenschaft, nur der Glaube die treibende Kraft, unerschütterlich.
Diese Überzeugung hat unser Verhältnis auf subtile Weise beeinflusst. Es war oft schwer, ihre Haltung nicht als einen indirekten Vorwurf zu empfinden – nicht gegen mich, sondern gegen die Welt, die sie als ungerecht empfanden. Trotzdem habe ich zumindest Wege gefunden, mit diesen unterschiedlichen Perspektiven umzugehen.
Ich habe gelernt, ihre Ansichten als Ausdruck ihrer eigenen Suche nach Antworten in einer Situation zu deuten, die sie nie wirklich akzeptieren konnten. Das hat unser Verhältnis deutlich komplizierter gemacht, inklusive Scheidung und Familienbruch, doch diejenigen, die blieben, gehören auch heute noch zu meinem Lebensalltag.
Für mich selbst als Individuum war die Diagnose nie eine emotionale Belastung. Meine Behinderung war schon immer ein Teil meines Lebens, nur ein begleitender Umstand, der mich nicht definiert hat, sondern einfach dazugehörte. Statt Erleichterung oder Verwirrung zu spüren, war ich schon früh im Reinen mit mir selbst. Es war für mich nie ein Unterschied, ob mit oder ohne Behinderung – sondern immer nur die Frage, wie ich meine Stärken einsetzen kann.
Tipps für frisch Diagnostizierte und ihre Familien

Falls eine Familie in deinem Umfeld vor einer möglichen SMA-Diagnose steht, kannst du dir vielleicht vorstellen, wie überwältigend diese Situation für alle Beteiligten sein kann. Es gibt so viele Fragen, Unsicherheiten und Entscheidungen, die plötzlich im Raum stehen.
Aus meiner eigenen Erfahrung weiß ich, wie wertvoll es sein kann, Orientierung und praktische Ratschläge zu bekommen. Deshalb hier ein paar Dinge, die ich gerne früher gesagt bekommen hätte:
- Informiere dich: Es gibt heute viele Organisationen und Netzwerke, die Wissen über SMA bereitstellen, wie etwa den nicht-eingetragenen Verein Patientenstimme SMA. Nutze sie.
- Sprich darüber: Rede offen mit Familie, Freunden oder anderen Betroffenen – aber nur, wenn du dich damit wohlfühlst. Manchmal hilft es, eigene Gedanken laut auszusprechen, um klarer zu sehen, auch allein. Wenn Worte nicht dein Ding sind, können auch Tagebuchschreiben oder kreative Wege wie Zeichnen helfen, deine Gefühle zu ordnen.
- Nimm dir Zeit: Eine Diagnose ist kein Marathon, sondern ein Prozess. Es ist völlig okay, sich erst einmal zu sortieren und herauszufinden, wie du dich wirklich fühlst. Gönn dir diese Pausen – sie sind Teil der Heilung. Auch nach Jahren oder Jahrzehnten.
- Hol dir Unterstützung: Niemand muss diesen Weg allein gehen. Ob Selbsthilfegruppen, Mentoren oder professionelle Beratung – es gibt Menschen, die deinen Weg verstehen und mit dir teilen wollen. Lass dir helfen, wenn du das möchtest, und sei nicht scheu, nach den Ressourcen zu fragen, die du brauchst. Es gibt keine dummen Fragen.
- Auch Zufriedenheit ist vollkommen in Ordnung: Es muss nicht immer das Streben nach einem „perfekten“ Umgang mit der Diagnose sein. Manchmal reicht es, einfach anzunehmen, was ist, und die Dinge so zu belassen, wie sie sind. Zufriedenheit bedeutet, Frieden mit der eigenen Situation zu schließen, ohne ständig nach Verbesserungen suchen zu müssen. Es ist diese innere Ruhe, die uns zeigt, dass Akzeptanz oft kraftvoller ist als ständige Veränderung. Selbst wenn die Welt um dich herum laut und fordernd erscheint, kannst du in der Zufriedenheit einen stillen Anker finden. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern manchmal genau das, was wir brauchen, um inmitten von Herausforderungen weiterzukommen.
Der Blick nach vorn

Wenn ich heute auf meine Diagnose-Reise zurückblicke, sehe ich all die Stolpersteine, aber auch die Wege, die ich über diese Steine gefunden habe. Jede Erfahrung, so schwer sie manchmal auch war, hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin. SMA hat mich gelehrt, dass es nicht nur um das Ziel geht, sondern auch darum, wie wir die Reise gestalten.
Vielleicht ist das die größte Lektion: Auch wenn der Weg zur Diagnose manchmal wie ein Labyrinth erscheint, gibt es immer Wege, damit umzugehen – und Menschen, die bereit sind, mit dir zu gehen. Zu deinen Bedingungen.
Hast du selbst schon Erfahrungen mit einer Diagnose gemacht oder kennst jemanden, der gerade diesen Weg geht? Teile gerne deine Gedanken, Erlebnisse oder Fragen in den Kommentaren.