Parallelen zwischen Ampel und Behindertenbewegung – Wenn zu viel Kleinklein vom Winde verwehrt wird

Geduld ist die Kunst, auf das Warten selbst zu warten. Es scheint fast schon ironisch, dass dieses Talent nicht nur Menschen mit Behinderung perfektioniert haben, sondern mittlerweile auch die deutsche Politik. Die Ampelkoalition – so vielversprechend sie einmal klang – steht mittlerweile sinnbildlich für den Konflikt in den eigenen Reihen – bis zum forcierten Bruch. Stillstand, Zögern, Ultimaten – für Menschen mit Behinderungen alles nur allzu bekannt.

Die Behindertenbewegung in Deutschland, die jahrzehntelang für Teilhabe, Inklusion und Barrierefreiheit gekämpft hat, scheint aber ebenfalls festzustecken. Da gibt es eine klare Absicht, eine Menge Gepolter und reichlich Engagement – und doch bewegt sich so gut wie nichts.

Ein Blick auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre zeigt, dass die Bewegung, statt sich geschlossen und zielgerichtet zu präsentieren, oft an sich selbst scheitert. Mir stellt sich zunehmend die Frage, ob die Probleme allein auf die Politik zurückzuführen sind, oder ob die Bewegung selbst eine Mitschuld an ihrem Stillstand trägt.

Vorher Versprechungen, nachher Enttäuschungen

Die Ampel hat zu Beginn große Pläne geschmiedet. Von Sozialreformen über eine nachhaltigere Wirtschaft bis hin zu mehr Inklusion – klang alles super.

Für Menschen mit Behinderungen klang das wie das lang ersehnte Licht am Ende des Tunnels der künstlich hervorgerufenen Benachteiligung. Endlich mehr Unterstützung, weniger Bürokratie, vielleicht sogar ein bisschen Respekt für die Realität ihres Alltags? Aber wie oft hört man in der Politik Sätze wie “mehr Inklusion”? Fast wie ein Buzzword, das gut im Wahlprogramm aussieht, aber nach der Wahl zur Karteileiche wird.

Die Behindertenbewegung kennt dieses Muster nur zu gut. Seit Jahrzehnten kämpfen Aktivisten scheinbar unaufhörlich für Barrierefreiheit und Chancengleichheit. Doch im Alltag zeigt sich, dass viele dieser Initiativen schon nach kurzer Zeit im Sand verlaufen oder an „logistischen Schwierigkeiten“ scheitern. Dann wird aus der großen Veränderung plötzlich ein weiteres Stück Symbolpolitik.

Hinter all diesen Rückschlägen steht aber nicht nur die Untätigkeit der Politik – auch die Bewegung selbst trägt Verantwortung für die Versäumnisse. Statt vereint aufzutreten, arbeitet jeder an seinem eigenen Projekt. Was fehlt, ist ein klarer, gemeinsamer Fokus, um echte Veränderungen zu erwirken.

Reformen? Please hold the Line.

Die deutsche Politik scheint in Bezug auf Behindertenrechte eine nie endende Warteschleife zu durchlaufen. Gerade kurz vor Wahlen wird so viel geredet, diskutiert, überprüft – doch umgesetzt wird wenig bis nichts. In der Zwischenzeit kämpfen Menschen mit veralteten Regelungen und unflexiblen Strukturen, obwohl die von Deutschland unterschriebene und ratifizierte UN-Behindertenrechtkonvention klare Vorgaben gibt – seit 2008. Die Umsetzung bis heute: Nicht geschehen oder mangelhaft. Und mit dieser Realität dritter Klasse leben rund 10 % der Bevölkerung Deutschlands!

Doch auch die Behindertenbewegung selbst hat in den letzten 15 Jahren wenig an Schlagkraft gewonnen. Es gibt heute mehr Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen als je zuvor, doch eine gemeinsame, politisch kraftvolle Stimme fehlt. Statt ein klares, übergreifendes Ziel zu formulieren, ist die Bewegung von einem Flickenteppich an Einzelprojekten geprägt, die oft zu wenig Druck aufbauen, um echte Veränderungen herbeizuführen und manchmal sogar nur der Lobby einzelner Personen dienen. Diese fehlende Durchsetzungskraft wird besonders im internationalen Vergleich deutlich.

Lost im Einzelfall

In Deutschland wird Behinderung oft als Ausnahmefall betrachtet, als Randthema, das in der gesellschaftlichen Debatte untergeht. Bei 10 % der deutschen Bevölkerung beträgt der Anteil an Berichten über Menschen mit Behinderungen und ihre Belange aus dem Jahr 2022 weniger als 0,5 % – und wird entsprechend kaum der Gesellschaft wahrgenommen.

Auch die Beiträge selbst haben meist das Pathos eines Groschenromans intus: Entweder wird das Leben trotz und gerade wegen der Behinderung auf olympische Höhen glorifiziert oder aber in den bodenlosen Sumpf des Mitleids gesuhlt. Es geht stets nur um die Freak-Show namens Behinderung, nicht um tatsächliche Errungenschaften oder Missstände auf diesem Gebiet. Dieses Problem zeigt sich in der politischen Arena genauso wie in den Medien und der öffentlichen Wahrnehmung.

Die Behindertenbewegung ist zwar sichtbar, doch dieser Zustand allein scheint ihr oft zu genügen. Ein stärkeres Engagement für strukturelle Veränderungen findet selten statt. Jeder arbeitet an eigenen Themen und Projekten, seiner ganz eigenen, noch so kleinen Lobby, was die Bewegung zersplittert und letztlich ihre Wirkungskraft schwächt.

Wenn die Behindertenbewegung ihre Anliegen wirklich voranbringen will, reicht es nicht, sich auf kleine, symbolische Fortschritte zu konzentrieren oder sich von Teilerfolgen befrieden zu lassen. Die großen sozialen Bewegungen – Frauenrechte, Arbeiterrechte, Umweltaktivismus – waren deshalb so erfolgreich, weil sie geschlossen und mit klaren Zielen auftraten.

Die Behindertenbewegung hingegen verzettelt sich oft in ihren Teilinteressen, was das politische Gewicht ihrer Forderungen schwächt. Anstatt sich als eine vereinte Kraft zu präsentieren, wird die Bewegung häufig zu einer losen Gruppe ohne echte Durchsetzungsstrategie.

Kleinklein wirbelt nur ein bisschen Staub auf

Letztlich reichen hübsche Symbole und wohlklingende Worte allein nicht aus, um echten Wandel zu schaffen. Die Behindertenbewegung in Deutschland braucht klare, erreichbare Ziele und eine vereinte Stimme, die politischen Druck aufbaut und sich nicht mit der Erfüllung von Mindestanforderungen zufriedengibt.

Doch genau das ist das Problem: Ein zu oft verbreiteter Ansatz, kleine Verbesserungen als Erfolg zu werten, hemmt die Dynamik der Bewegung. Um nachhaltige Veränderungen zu erreichen, sind nicht nur symbolische Siege, sondern endlich echte Forderungen erforderlich. Eine Bewegung, die ohne geschlossenen Rückhalt auftritt, wird auch in Zukunft kaum politische Wirkung erzielen können.

International wird die Messlatte höher gelegt

Es gibt Länder, die zeigen, dass Wandel durch Planung und Kooperation tatsächlich erreicht werden kann. In Schweden beweist die Deinstitutionalisierung, wie Menschen mit Behinderungen selbstbestimmt und unabhängig leben können, ohne sich in Systemen der Unterwerfung und Fremdbestimmung zu verlieren.

Hier wurden institutionelle Einrichtungen durch häusliche Assistenz ersetzt, die den Einzelnen in den Mittelpunkt stellt und ein Leben außerhalb fremdbestimmter Betreuung ermöglichen. Schweden hat damit gezeigt, wie eine strukturierte, zielgerichtete Behindertenbewegung in Zusammenarbeit mit der Politik echte Veränderung erreichen kann.

In Japan geht die Behindertenbewegung sogar noch einen Schritt weiter: Die Partei für Menschen mit Behinderungen sitzt mittlerweile im Parlament und setzt sich gezielt für die Rechte von Menschen mit Behinderungen ein.

Hier zeigt sich, dass eine vereinte Bewegung, die strategisch und politisch vertreten ist, enorme Wirkung erzielen kann. Ein unangenehmer Vergleich zur deutschen Bewegung drängt sich auf – hier kämpft jeder für sich allein und oft an vielen Fronten gleichzeitig. Es fehlt der klare Fokus, und die Bewegung verpufft durch interne Zersplitterung.

Hier muss mehr nachgelegt werden!

Es ist an der Zeit, dass die deutsche Behindertenbewegung ebenfalls diesen Schritt geht: weg von der Einzelkämpfermentalität mit Lösungen aus dem Tropf und hin zu einer koordinierten, vereinten Bewegung.

Die Beispiele aus Schweden und Japan zeigen, dass sich mit klaren Zielen und einer strategisch organisierten Bewegung wesentlich mehr erreichen lässt als durch unzusammenhängende Projekte und kleine Erfolge. Die Türen stehen einen Spalt weit offen – jetzt ist es an der Bewegung, die Gelegenheit zu nutzen und geschlossen diese Tür mit Karacho einzutreten.

Diese internationalen Beispiele zeigen, dass echte Veränderungen möglich sind, wenn klare Ziele und eine starke, einheitliche Stimme vorhanden sind. Die Zeit für symbolische Erfolge ist vorbei – nur durch ein vereintes, strategisches Auftreten kann die Behindertenbewegung in Deutschland politisch wirklich etwas bewegen. Bist du mit der derzeitigen Situation zufrieden? Reicht der derzeitige Aktivismus? Braucht es mehr? Braucht es weniger? Erzähle es mir in den Kommentaren!